Der Steinbock
Geschichte:
Die Gründung einer Steinwildpopulation an der Benediktenwand begann im Jahr 1959, als sich ein jüngerer Steinbock - vermutlich aus Tirol - dort einstellte und acht Jahre verbrachte. Diese lange Zeit war Anlass, 1967 zwei Steinböcke und zwei Steingeißen aus dem Schweizer Wildpark Peter und Paul Sankt Gallen auszuwildern. Federführend war der damalige Forstamtsrat Hans Engelbrecht vom Forstamt Jachenau, unterstützt vom Forstamtsleiter Hans Sohler, dem Tölzer Fabrikanten und Jäger August Moralt und dem Verleger Franz Burda. Die vier ausgewilderten Stücke Steinwild fühlten sich sofort wohl; der damals bereits 12 Jahre alte Steinbock gesellte sich am gleichen Tag dazu.
1970 stiftete der Bund Naturschutz Bayern zwei Geißen aus dem Frankfurter Zoo von Bernhard Grzimek. Die beiden Geißen sind jedoch innerhalb eines Monats verendet aufgefunden worden. Mit dem Hochgebirge kamen diese Tiere wohl nicht zurecht.
Zur Unterstützung der Ansiedelung wurden 1971 zwei einjährige Geißen und ein zweijähriger Bock, wiederum aus dem Wildpark Peter und Paul, Sankt Gallen, an der Benediktenwand ausgewildert. Die vorhandenen Tiere entwickelten sich gut, sie kamen auch mit dem neuen Lebensraum und dem Klima zurecht. 1973 stürzte dann der 19 Jahre alte Bock aus Tirol in der Benediktenwand ab. Für Nachwuchs hatte er jedoch ausreichend gesorgt.
Hans Engelbrecht, Klaus Held, Leiter der Unteren Jagdbehörde, sowie Kreisjagdberater Josef Gut nahmen 1989 mit dem Schweizer Steinwildexperten Dr. Paider Ratti aus Graubünden Kontakt auf. Dieser schätzte den wildbiologischen Lebensraum um die Benediktenwand auf ca. 400 ha und geeignet für eine Population von maximal 80 Stück.
Bereits 1990 ergaben Zählungen, dass sich der Wildstand auf mindestens 120 Stück gesteigert hat. Deshalb kam es 1990, 1993, 1995, 1998 und 2006 zu Bestandsregulierungen. Das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen hat unter strengen Auflagen die Entnahme von Steinwild angeordnet. Alle Tiere wurden veterinärmedizinisch und genetisch untersucht.
Zwei Zählungen im Jahr im gesamten Habitat des Steinwildes weisen den aktuellen Populationsstand aus. Dabei sind mit großer Sachkunde und Kompetenz die Jagdpächter der Gemeinschaftsjagdreviere Arzbach, Schlegldorf, Wegscheid und die beiden Revierleiter sowie Berufsjäger vom Forstbetrieb Bad Tölz der Bayerischen Staatsforsten.
Mehr Informationen zum Steinwildmonitoring an der Benediktenwand lesen Sie hier: Gelungene Ansiedlung vor 50 Jahren oder wie man eine isolierte Steinwildkolonie fit für die Zukunft macht…
Der Lebensraum des Steinbocks
Steinböcke besiedeln neue Gebiete zaghaft und erst, wenn diese durch Pionierleistungen von Artgenossen zuvor begangen wurden. Solche Gebietserschließungen leiten vorwiegend Böcke auf ihren ausgedehnten Herbstwanderungen ein.
Der Lebensraum wird entlang von Gebirgszügen ausgedehnt. Tiefe Täler und Gletschergebiete werden kaum überschritten und bilden somit natürliche Grenzen. Das Scharwild ist sehr standorttreu. Der Alpensteinbock bewohnt steile, felsige und reich gegliederte Gebiete oberhalb der Waldgrenze zwischen 1.600 und 3.000 m üNN.
Er bevorzugt niederschlagsarmes und besonders im Winter sonniges Klima. Extremen Kältebelastungen hält er ohne weiteres Stand. Dagegen ist seine Hitzetoleranz als nicht schwitzendes Säugetier eher gering. Steinwild hat Schweißdrüsen nur im Nasenspiel.
Feinde und Störungen
Außer dem Steinadler, welcher Kitze und schwache Jährlinge erbeuten kann, hat das Steinwild bei uns keine Feinde. Auch menschliche Störungen beeinflussen die Steinwildbestände.
Aus Respekt vor dieser Tierart sollte bei der Beobachtung immer ausreichender Abstand gehalten werden.
Wintereinstände befinden sich bevorzugt in steilen, südexponierten Hängen. Neben Äsungsflächen ist der Steinbock auf Windschutz und Unterstände gegen Lawinen angewiesen.
Kuppenlagen und abgeblasene Grate erleichtern ihm die Fortbewegung und Nahrungssuche. In steilen Lagen rutscht der Schnee schnell ab, so kann der Steinbock Nahrung frei scharren.
Im Sommer werden mit Grasbändern durchsetzte Berge besiedelt. Neben Äsung und Gelegenheit zur Mineralstoffaufnahme braucht der Steinbock in Sommereinständen schattige und kühle Plätze. Er nutzt die Strukturvielfalt seines Lebensraumes.
Geißen mit ihren Kitzen fühlen sich in steilen und unzugänglichen Gebieten sicher.
Nahrung
Die Äsung der Steinböcke besteht zum Hauptteil aus Gräsern (80-90%). Zudem werden Kräuter, Moose und Flechten (10-15 %), sowie sehr wenig Holzgewächse aufgenommen. Der Steinbock kann wenig eiweiß- und energiehaltige Äsung gut verwerten. Der Rohfaseranteil seiner Nahrung ist hoch. Im Winter äsen Steinböcke genügsam die strohähnlichen, winterharten Seggen. Sie finden unter dem Schnee immer etwas grüne Nahrung. Zwergsträucher werden häufig genutzt. Bei Gelegenheit werden Zweige und Triebe von Bäumen und Stäuchern abgeäst. Im Frühsommer ergrünen die alpinen Weiden. Frisches Gras und Bergblumen bilden jetzt die Hauptnahrung. Manchmal werden auch ganze Pflanzen ausgerissen und samt Wurzeln geäst.
Körpermerkmale
Die Steingeißen sind mit 4 bis 5 Jahren ausgewachsen und erreichen ein Gewicht bis ca. 40 kg. Bei Böcken steigt das Gewicht bis ins Alter von 7 bis 8 Jahren stetig an. Das durchschnittliche Gewicht ausgewachsener Böcke beträgt ca. 90 bis 100 kg. Böcke werden selten über 15, Geißen hingegen durchaus über 20 Jahre alt.
Das Gehörn ist das auffälligste Merkmal des Steinbockes.
Die spitz auslaufenden, säbelförmigen Hörner wachsen auf Stirnzapfen. Beim Bock bilden sich an der Vorderkante ab dem zweiten Lebensjahr auffällige Schmuckknoten, in der Regel jedes Jahr zwei, selten drei oder nur einer. Die Ausprägung der Knoten wird ab sechs Jahren geringer. Es entstehen dann nur noch unregelmäßige Wülste, später im fortgeschrittenen Alter nur noch dünne Leisten. Die Hornschläuche erreichen Längen bis über 100 cm.
Steingeißen entwickeln nur geringe Schmuckringe. Ihre Hörner sind deutlich kürzer und feiner. Sie eignen sich besser als Verteidigungswaffen gegen Raubfeinde als jene der Männchen. Steingeißenhörner sind selten mehr als 35 cm lang. Die Hörner wachsen an der Basis nach und werden lebenslang getragen. Der jährliche Wachstumsunterbruch zwischen November und März zeichnet sich als Einschnürung der Hornschläuche, sogenannte Jahrringe ab. Sie erlauben eine zuverlässige Altersbestimmung.
Angepasst an den alpinen Lebensraum wechselt der Steinbock nur einmal im Jahr sein Haarkleid. Von April bis Juni verliert er das Winter- sowie das Sommerhaar des Vorjahres. Gleichzeitig wächst das neue fahl-braun-rötlich-graue Sommerkleid. Im Oktober durchwachsen die Woll- und Deckenhaare des Winterfelles die Sommerhaare. Geißen und junge Böcke erscheinen nun eher graubraun, reifere Böcke kastanien-braun bis sehr dunkelfarbig. Die Sonne bleicht das Winterfell zu-nehmend. Die Haare werden brüchig. Im Frühjahr fällt das Haar in Büscheln aus oder wird an Stauden oder am Fels abgerieben.
Steinböcke sind Augentiere. Sie sehen vorzüglich.
Das Auge mit waagrechtem Pupillenschlitz für breiten Lichteinfall und die seitliche Lage, ganz außen am Kopf, lassen fast ein Rundumsehen zu.
Steinböcke hören ausgezeichnet. Auch der Geruchssinn ist gut ausgeprägt, scheint aber mehrheitlich für innerartliche Bedürfnisse genutzt zu werden.
Alle Steinböcke „pfeifen“ bei Gefahr und als Warnung (Nasenlaut). Ebenfalls ist bei Ihnen ein eigenartiges „Schnauben“ oder „Knuffeln“ zu hören
Der Steinbock ist ein Paarhufer. Seine Hufe müssen hohen Anforderungen genügen.
So sind Fußmechanik und Fußaufbau für felsige Unterlagen geschaffen. Zum Abnützen der nachwachsenden Hufränder braucht er Felsen. Der harte widerstandsfähige Hufrand gibt ihm vorzüglichen Halt auf kleinsten Felsrippen. Die weichen, stark mit Tastnerven durchzogenen Ballen können feinste Unebenheiten auf glattem Fels wahrnehmen und Halt finden. Die Afterklauen sind weicher als die Hauptklauen und geben beim Abwärtsklettern zusätzlichen Halt. Steinwildhufe sind weniger spreizbar als die der Gämsen und eignen sich weniger gut zum Gehen auf Schnee.
Das Sozialverhalten der Steinböcke
Die Brunft gliedert sich in verschiedene Phasen. Im Oktober gehen die Böcke in kleineren Trupps auf die Wanderschaft und erkunden auch die entferntesten Geißengruppen der Population. Nachher treffen sie sich kurz in Vorbrunfteinständen wieder und suchen dann die Geißenrudel auf. Im November interessieren sie sich auffällig für die Geißen. Die eigentliche Brunft ist im Dezember und Januar.
Wird eine Geiß paarungsbereit, hält sich nur noch der dominanteste Bock im Einzelbrunftverhalten bei ihr auf. Sämtliche Rivalen werden auf Distanz gehalten.
In dieser Phase verschafft sich der beschlagende Bock durch heftige Attacken gegen Rivalen Respekt.
Nach dem Beschlag „bewacht“ der dominante Bock die immer noch paarungswillige Geiß etwa 24 Stunden.
Die Hauptbeschlagszeit ist Ende Dezember/Anfang Januar.
Böcke regeln ihre Beziehungen gegenüber Rivalen durch Drohen, Hornschlagen, Kämpfen und Abwehrschlagen. Zudem haben Gehörn, Fellfarbe, Schwanzhochklappen sowie Geruch und Beharnen der Vorderläufe gegenüber Rivalen Signalwirkung.
Von Böcken ist während der Brunft zeitweise ein auffälliges, gepresstes Meckern (Brunftmeckern) zu hören.
Trächtigkeit/Kitzaufzucht: Nach einer Tragzeit von 164 bis 170 Tagen (ca. 24 Wochen) kommen ein, selten zwei Kitze auf die Welt. Die Setzzeit liegt im Juni. Frühgeburten und Tragzeitverlängerungen sind möglich. Steinkitze wiegen bei der Geburt 2 bis knapp 3 kg.
Es ist sehr wichtig, sofort stehen zu können, um das Gesäuge der Mutter zu erreichen. Anfänglich lässt die Steingeiß das Kitz an geschützter Stätte zurück, während sie in der Nähe äst.
Schon nach wenigen Tagen folgen die Kitze der Mutter. Führende Geißen finden sich dann wieder zu Rudeln zusammen. Kitz und Geiß bauen eine enge Mutter-Kind-Beziehung auf.
Kitze haben einen ausgeprägten Spielsinn und üben sich geschickt im Klettern und Springen.
Die Hörnchen beginnen wenige Wochen nach der Geburt auf den sich bildenden Hornfortsätzen des Schädels zu wachsen.
Kitze meckern, sobald sie sich verlassen fühlen. Geißen meckern, wenn sie ihr Kitz suchen oder manchmal ganz unterdrückt (nasaler Laut), wenn sie mit ihm Kontakt halten.
Entwicklung: Ein Steinbockkitz kommt sehend zur Welt. Nach wenigen Minuten steht es auf seinen wackeligen Beinen und schon nach Stunden kann es seiner Mutter ein wenig folgen.
Mit anderthalb bis zwei Jahren wird das Tier geschlechtsreif. Geißen setzen mit 3 bis 5, selten schon mit 2 Jahren ihr erstes Kitz. Sie sind bis ins hohe Alter fortpflanzungsfähig. Böcke wachsen langsamer und beteiligen sich erst später an der Fortpflanzung. Mit 10 bis 12 Jahren erreicht der Bock den Höhepunkt seiner körperlichen Entwicklung. Dann setzt langsam, wenige Jahre später sehr rasch der Rückgang seiner Kräfte ein.
Tagesrhythmus: Im Sommer äst Steinwild frühmorgens und abends, in hellen Nächten nachts. Während der Tageshitze sucht es Schatten und ruht sich wiederkäuend aus.
Während der kurzen Wintertage werden die Tiere spät am Morgen aktiv. Sie nutzen fast den ganzen Tag zur Nahrungssuche und ruhen wenig. Wenn immer möglich genießen sie die wärmende Sonne.
Bei Dämmerung suchen sie die Schlafplätze im Schutz der Felsen auf.
Horngröße und Alter bestimmen die soziale Stellung bei Böcken und Geißen.
Diese Ranganzeiger ermöglichen voraussagbare Sozialbeziehungen und vermeiden Kämpfe. Bei gleichaltrigen Rivalen funktioniert das aber nicht. Von Frühling bis Herbst sind in den Bockgruppen ständig Rangordnungskämpfe zu beobachten. Diese sind stark ritualisiert und führen selten zu Verletzungen. Durch Hornschlagen, Hornschieben, durch Aufrichten und Hornschläge auf das Gehörn des Gegners sowie Körperschieben in seitlich parallele Stellung werden Kraft und Ausdauer gemessen und die Rangposition unter etwa gleich alten Böcken festgelegt.
Zu heftigen Schlagattacken, die auch auf den Körper und nicht nur auf das Gehörn eines Rivalen gerichtet sind, kommt es nur während der Brunft. Dies geschieht, wenn Rivalen nicht genügend Distanz zum dominantesten Bock halten. Nur dann sind gefährliche, sichelartige Bewegungen mit der Hornspitze gegen den Nebenbuhler zu beobachten.
Geißen behaupten ihren Rang mit kurzen Hornschlagduellen. Es sind kurze Streitigkeiten zwischen ähnlich ranghohen Tieren. Es genügt ein kurzes Drohen oder Imponieren, da sich die Mitglieder der Geißengruppen kennen.
Kitze tragen mit ihren noch kaum vorhandenen Hörnchen spielerisch Kämpfe aus. So erlernen sie das ritualisierte Verhalten für die häufigen Schaukämpfe im späteren Leben.
Text: Franz Steger